Die Rechnung ging auf

Location: Lake Victoria / Tansania
Wetter: warm und bewölkt
Zeitunterschied: + 1 Std.

Die Zeit rennt heute wieder unerbittlich, wie immer an Tagen, die mit einem gewissen Termindruck einhergehen. Sollten wir den Zug nicht erreichen, sitzen wir die nächsten Tage fest oder dürfen uns an einer 24-stündigen Busfahrt erfreuen. Die berühmte Wahl zwischen Pest und Cholera. Wir halten das Tempo hoch, es ist bereits 11:24 Uhr.

Zehn nach fünf steht Thomas im Vorgarten des Hostels und versucht im Licht der untergehenden Sonne einen Blick durch die Wipfel der Bäume zu erhaschen. Nichts, außer Wolken, konsterniert er und tritt den Rückweg zur Terrasse an. Er wirkt schon ein wenig niedergeschlagen, läuft doch Angie und ihm die Zeit davon. Ihre letzte Chance ist der morgige Tag, danach wäre alles vergebens gewesen.

Uns ist etwas unwohl bei dem Gedanken, mitten in der Nacht Dar-Es-Salaam zu erreichen. Gut acht Kilometer müssen wir überbrücken, um in unser Hostel im Zentrum zu gelangen. Zu viele Vorfälle haben das Taxifahren in der Stadt zu einem Wagnis mit Unbekannter werden lassen. Vorsicht ist geboten. Wir müssen auf die Empfehlung zweier Australier vertrauen, die uns ihren Taxifahrer empfohlen haben.

Ich rufe zum wiederholten Mal bei der Reiseagentur an und möchte zwei Tickets für Sonntag reservieren. In verwaschenem Englisch teilt mir eine männliche Stimme am anderen Ende der Leitung mit, dass er mir keine Versprechungen machen könne. Er werde alles versuchen was in seiner Macht stehe. Ich buchstabiere ihm noch meine Email Adresse und bitte ihn inständig, mir schnellstmöglich eine Nachricht zukommen zu lassen. Uns bleiben nur noch 24 Stunden.

Es ist fünf vor zwölf. Angie ist unzufrieden. Die Planung der Reise ist gerade umständlich denn je, da die notwendigen Informationen nie verfügbar sind, wenn sie diese braucht. Es führt kein Weg mehr an ihm vorbei. Bloß woher nehmen, wenn nicht stehlen?

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Kurz vor ein Uhr nachts setzte sich der Zug in Richtung Dar-Es-Salaam in Bewegung und die Beiden waren mit an Bord. Hinter ihnen lag ein typischer Reisetag der sich über elf Stunden in fünf verschiedenen Bussen hingezogen hatte. Als sie am späten Nachmittag Mbeya im Süden Tansanias erreichten, hätte der Zug eigentlich schon seit drei Stunden unterwegs sein müssen, wäre da nicht der Faktor „Verspätung“ gewesen.

Wir betreten den dritten Buchladen in Folge, der in etwa die gleiche Auswahl an Büchern ausweist, wie ein Autohaus in der DDR Fahrzeuge. Wir heucheln Interesse vor, lächeln nett und sind eigentlich schon auf dem Weg nach Draußen. Plötzlich und völlig unverhofft sehe ich seinen hellblauen Einband im untersten Fach der Vitrine leuchten. Wir sinken gefühlt auf die Knie und drücken uns wie neugierige Kinder die Nase an der Scheibe des Schaukastens platt. Wir haben dich gefunden – „Lonely Planet – East Africa“. Angie ist glücklich, hat sie doch nun wieder alle Infos aus erster Hand und ohne den Computer bemühen zu müssen. Und noch etwas gefällt ihr sofort. Der Geruch, den nur ein Buch ausstrahlen kann.

Wir sahen das weiße Schild schon von Weitem am Ende des Tunnels leuchten. Mit jedem Schritt den wir uns näherten, stieg unser Glücksgefühl. Als wir schließlich nur noch wenige Meter entfernt waren, bestand kein Zweifel mehr. „Anhie“ – ja, wir waren gemeint. Unser Taxifahrer hatte uns nicht im Stich gelassen und wartete kurz vor drei Uhr nachts am Bahnhof in Dar-Es-Salaam auf uns.

Eine wirklich freche E-Mail erreichte uns. Für gut fünfzig Dollar wird uns ein Ticket für die MV Victoria versprochen, welche drei Mal die Woche den Lake Victoria kreuzt. Das ist mehr als doppelt so viel, wie der eigentliche Fahrpreis betragen würde. Wir waren verärgert, wollten aber ein letztes Mal nachfragen, warum die Tickets so teuer waren. Die Antwort kam schnell und war kurz und trocken. Eine Antwort sparten wir uns, im Gegensatz zu einem grünen Punkt bei „Trip Advisor“. Wir sahen unsere letzte Chance im Morgen vor der Abfahrt des Schiffs. Pünktlich, Schlag Neun standen wir am Kassenhäuschen im Hafen von Mwanza. Mit der Seelenruhe eines afrikanischen Binnenschiffers holte der Angestellte sein Buch aus dem Schubfach. Sein Zeigefinger wanderte Zeile für Zeile über das linierte Papier, in welchem die Buchungen vermerkt waren. Plötzlich stockte er und blickte über den Rand seiner Brille auf uns. „Kabine 19 wäre noch frei“. Die Anspannung fiel in Bruchteilen von Sekunden von uns ab. Die Rechnung ging auf, mit 20 Dollar auch preislich.

Ohne eine besondere Erwartungshaltung lief ich wieder einmal die Meter von der Terrasse in den Garten und blickte flüchtig in Richtung Norden. „Nein, das gibt’s doch nicht. Da ist er!“ Wie Archimedes nach der Entdeckung des gleichnamigen Prinzips sprang ich durch den Garten. Auch Angie und eine andere Reisende waren sofort in heller Aufregung. „Wo ist nur der Photoapparat, wo ist er nur, schnell schnell, bevor er wieder weg ist.“ Wir schafften es und konnten im Überschwall der Gefühle einige Bilder seiner schneebedeckten Spitze machen, bevor ihn die Nacht in ihren schwarzen Schleier legte. Unsere Rechnung ging auf – wir sahen ihn, den Kilimanjaro.

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Wir sind begeistert von Tansania und das nicht nur, weil einige Dinge mal so liefen wie geplant. Es ist zugegebener Maßen ein Land mit einem starken Focus auf den Tourismus. Nichtsdestotrotz hat es sich schon aufgrund seiner Größe jede Menge ursprüngliche Plätze bewahrt, die ein unverfälschtes Bild des Landes zeigen. Aber auch die erstgenannten Orte möchten wir nicht verdammen, hat doch auch der Tourismus den ein oder anderen positiven Effekt, von dem wir natürlich auch partizipieren. Seit dem Grenzübertritt von Malawi nach Tansania folgte ein spürbarer Anstieg an Vitalität im täglichen Leben. Die Menschen sind offener und interessierter und suchen das Gespräch auch ohne etwas verkaufen zu wollen. Des Weiteren bietet das Land eine weitgefächerte Mischung verschiedenster Landschaften und Plätze, welche sich von den beeindruckenden Seenlandschaften im Westen des Landes über die Gras- und Steppenlandschaften der Serengeti bis hin zur tropischen Küste, mit ihren allseits bekannten Inseln erstreckt. Für uns ist Tansania eine ganz klare Reiseempfehlung für jeden Reisenden, ob nun mit oder auch ohne Rucksack.

Ganz liebe Grüße von euren beiden Weltreisenden

Angie & Thomas

PS: Bei fortgesetztem Interesse an einer nicht linearen Handlung, aber mit einem fehlgeschlagenen Plan empfehlen wir: Stanley Kubrick‘ s Klassiker „Die Rechnung ging nicht auf“.

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