Location: auf der Reise von Nepal nach Indien
Wetter: wie fast immer sommerlich warm
Zeitunterschied: – 4,5 Stunden
Traurig winkten wir Ricky, unserem tibetischen Guide nach und schauten wehmütig auf die vergangenen drei Reisemonate in China zurück. Hatten wir dort doch unvergessliche Abenteuer und eine aufregende Zeit verlebt, vor allem Tibet wurde zu einem Highlight unserer gesamten langen Reise. Doch nun war es Zeit für Neues. Und während wir noch in Erinnerungen schwelgten, wurden unsere Reiseerfahrungen erneut auf die Probe gestellt.
Die Ausreise aus China nach Nepal gestaltete sich erst einmal trotz akribischer Taschenkontrolle durch die chinesischen Zollbeamten und deren scharfem Blick auf die tibetischen Reisepermits weniger schwierig…hatten wir doch im Vorfeld nicht viel Gutes gehört. Doch schnell stellte sich eine neue Hürde für uns: Da unser erster Reisepass nun nach 17 Monaten und 27 Ländergrenzen vollgestempelt war, wurde es Zeit unseren zweiten Pass ins Reiseleben zu berufen. Dazu bedurfte es einen Trick unsererseits, denn eigentlich kann man über Land nicht ohne den Ausreisestempel des einen Landes in das nächste (hier Nepal) reisen. Die nepalesischen Grenzbeamten schauten recht nett aus und wir schöpften zunächst Hoffnung. Schnell waren die Visapapiere ausgefüllt und jeweils 40 US-$ für die offizielle Visagebühr gezückt. Ich atmete langsam durch, während der nette Grenzbeamte bereits den Visaaufkleber für meinen Pass ausfüllte und anfing aufzukleben. Doch halt…“wo ist denn der Ausreisestempel aus China?“ Mist, ihm war trotz meinem entzückenden Lächeln der fehlende chinesische Stempel in meinem Pass nicht entgangen. Ich stammelte schnell etwas Unverständliches von „der alte Pass sei voll und würde von der deutschen Botschaft in Kathmandu entwertet“ bis zu „für meinen Partner gilt das selbige“. Irgendwie hatte meine Stotterei doch noch Erfolg. Beide Grenzbeamten überlegten einige Zeit angestrengt, schauten dann aber augenzwinkernd drein und gaben uns mit einem großmütigen „OK“ unsere Pässe inklusive nepalesischem Einreisestempel zurück. Gut gemacht! Und dabei hatten wir uns schon auf langwierige Diskussionen und eine Menge Bakschisch vorbereitet. Der Weg war nun frei nach Nepal – unserem nächsten Reiseziel.
Mit dem belgischen Reiseduo Nadine und Yecine sowie Ferdi aus Holland waren auf nepalesischer Seite schnell Begleiter für die Fahrt mit einem Jeep gefunden. Hatten wir doch alle fünf das gleiche Ziel: Kathmandu. Bei den Kosten für die Jeepmiete inklusive Fahrer waren wir uns anfangs nicht ganz so einig. Während wir zwei uns wie immer im Vorfeld zu den Fahrpreisen in Nepal umgehört hatten, wären die restlichen drei Traveller viel schneller bei den von den nepalesischen Fahrern genannten Preisen eingestiegen. Wir hatten da andere Vorstellungen. Mit gemischten Gefühlen, aber doch hart und wohl überzeugend handelten wir erstmal den Fahrpreis auf normales Mass herunter, bevor wir uns entgültig entschieden. Im Nachhinein gestand mir Ferdi, dass ihm das irgendwie imponierte. Ich weigerte mich einfach einen höheren Preis zu aktzeptieren. Naja, wir kennen ja zwischenzeitlich auch das Spiel. Verhandeln, diskutieren und notfalls einfach gehen. Und siehe da, einer findet sich meistens, der mit unserem Preis noch immer angemessen Geld verdient. Also aufsitzen und los gehts nach Kathmandu.
Der Weg von Kodari ins Kathmandu Tal war entgegen unseren letzten Reisemonaten wieder einmal gesäumt von tropischen Pflanzen, Staub, Müll und wirklich schlechten Strassen entlang des Flusses Bhote Kosi. Trotzdem genossen wir die Fahrt sehr, war doch der Ausblick – nur wenige Kilometer entfernt vom organisierten China – wieder so andersartig und von einem verkehrstechnischen Chaos um uns geprägt. Nach insgesamt vier Stunden war die laute von Leben gefüllte Hauptstadt Kathmandu erreicht. Uns war erstmal nach einem Bierchen. Zu fünft stürmten wir die nächste Bar und ließen uns unser erstes NEPAL ICE schmecken. Und schnell war klar, dass unsere Begegnung mit den drei Dutch-Reisenden nicht ganz folgenlos bleiben sollte. Wie immer spielte uns der Zufall in die Karten. Denn dank Nadine lernten wir deren Freund Jagat Lama, einen absolut empfehlenswerten nepalesischen Trekkingguide kennen. Jagat verhalf uns sofort zu einem günstigen, akzeptablen Zimmer in der Touristenhochburg Kathmandu. Wir waren ja wie üblich ohne Reservierung gekommen und hatten die Rechnung dabei ohne die zahlreichen Touristen gemacht. Fast alle in Frage kommenden Unterkünfte waren bereits ausgebucht. Von hier aus gilt nochmals ein großes Dankeschön an Jagat…und nicht nur dafür. In Kathmandu also glücklich und zufrieden angekommen, wollten wir uns erstmal einen Überblick verschaffen. Auch Jagat vertrösteten wir auf die nächsten Tage – wir hatten zwar einige Aktivitäten,wie Rafting und Trekking im Anapurnagebiet geplant, konnten uns aber noch nicht so recht durchringen. Wir haben ja Zeit. Und dass doch alles anders als geplant kommen würde, zeigte sich bereits in den nächsten Tagen.
Kathmandu hat sich auf eine gewisse Art und Weise Charme bewahrt. Es ist zwar laut, überfüllt, hektisch und schmutzig, aber wir fühlten uns in der Touristenenklave Thamel dennoch wohl und genossen das Schlendern in den engen Gassen, das Essen und die allabendlichen Besuche in den umliegenden Bars. Und trotzdem: nach der Ruhe im tibetischen Hochland trafen wir wieder auf eine andere Welt. In Nepal herrschen größtenteils Armut und Korruption, es fehlt an Nötigem in allen Bereichen. Die größten Schwachstellen sind vor allem in der Infrastruktur, im Bildungsektor und in der medizinische Versorgung zu finden…insbesondere wenn man die urbanen Gebiete verlässt. Es gibt keine geregelte Krankenversicherung, in den Bergregionen fehlen grundsätzlich medizinische Versorgungsstätten und Personal. In abgelegenen Dörfern gibt es weder Schulen noch entsprechend ausgebildete Lehrer. Vielen Kindern bleibt der Zugang zu Bildungseinrichtungen gänzlich verwehrt, da sie im Haushalt der Familie helfen oder Geld verdienen müssen. Ein Großteil der Schüler verlässt die Schule ohne Abschluss. Entsprechend hoch sind Analphabetenrate und schlechte Zukunftsaussichten in Nepal. Schnell war mit Jagat ein interessanter Gesprächspartner in Punkto Entwicklungshilfe und soziales Engagement in Nepal gefunden. Was wir bei unserem ersten Zusammentreffen nicht wussten: Jagat hat aus eigener Kraft die Hilfsorganisation „Health and Education for Nepal (HEN)“ gegründet, die zu 100 % Projekte in den Hauptsektoren Bildung und Medizin für seine Heimat in den nepalesischen Bergen des Nuwakot Districts stämmt, um die dortigen Lebensbedingungen der Kumari Community zu verbessern. Die persönliche Geschichte Jagats hat uns tief berührt und zeigt seine Verbundenheit mit den Menschen in den Bergen. Jagat selbst war der Erste, der vor vielen Jahren seine Heimat Kumari in der Himalaya Region verließ, um in der Stadt zu studieren. Um sein Studium in Kathmandu zu finanzieren, arbeitete er damals täglich hart als Zeitungsverkäufer in den engen Gassen der Hauptstadt, später als Trekking-Porter (Träger) und Guide in den Bergen. Er hatte Glück; galt er schon als Kind begabt und einer der besten seiner Klasse, konnte er seine Ausbildung in der Stadt ebenso erfolgreich beenden, anschließend bei verschiedenen Unternehmen arbeiten und für sich und seine Familie eine gesicherte Existenz aufbauen. Eines Tages ereilte ihn jedoch eine schreckliche Nachricht aus seinem Heimatdorf. Sein Vater war schwer gestürzt und verletzt. Als Jagat in das Heimatdorf eilte, lag sein Vater bereits im Sterben. Er konnte nicht mehr gerettet werden, was einzig an der fehlenden medizinischen Versorgung lag. Das nächste Ärztehaus mit angeschlossener Apotheke befindet sich noch immer 9 Wanderstunden von Kumari entfernt. Der Weg führt über tiefe Täler und steile Berge in der Himalaya Region, den Kranke und Verletzte behelfsweise hinauf getragen werden müssen. Eine konkrete Straße oder anderweitig motorisierte Möglichkeiten existieren bis heute nicht. Jagats Vater starb ohne jegliche medizinische Hilfe. Aus dieser Tragödie heraus war ein Traum in Jagat geboren: Medizinische Versorgung und Ausbildung für die Menschen in Kumari zu etablieren.
Jagat baute sich in den Folgejahren sein eigenes Reiseunternehmen auf, unter dessen Dach heute ausgebildete Trekkingführer und Porter vereint sind. Neben gerechter Bezahlung erhalten alle Angestellten entsprechende Gesundheitsversorgung, Kleidung und Sozialleistungen. Im Gegenzug engagieren sich die Mitarbeiter nun ehrenamtlich in den Kumari-Projekten. Neben Einzahlungen in einen Hilfsfond arbeiten sie selbst freiwillig in den weniger touristischen Wintermonaten in der Bergregion und helfen beim Aufbau der nötigen Infrastruktur. Fast alle Guides und Porter stammen selbst aus der Kumari Region.
Über dem gutlaufenden Trekkinggeschäft stand zu jeder Zeit Jagats Traum und der Wunsch, `seine` Kumari Region maßgeblich zu unterstützen und den dortigen Menschen zukunftsträchtige Aufbauhilfe zu geben. So teilten Jagat und seine Kollegen den großen Traum mit vielen Gästen aus aller Welt und erreichten schließlich die Herzen zweier Trekker aus Amerika. Jagats Traum wurde endlich Realität.
Gemeinsam mit Finanzmitteln aus dem Unternehmerfond und Spenden aus der westlichen Welt konnte recht schnell der Grundstein gelegt werden. In der ersten Aufbauphase wurden ein Frauenzentrum für Näh- und Schneiderarbeiten in Nuwakot konzipiert und umgesetzt, ein „Verbindungsweg“ zu anderen Gebieten im Kumari District und ein Wasserbrunnen gebaut sowie erste Vorkehrungen für die künftige Stromversorgung getroffen. Im Frühjahr 2009 fand erstmalig ein großangelegtes Medical Camp, geführt von einer freiwilligen US-Delegation statt. Es wurden zum damaligen Zeitpunkt mehr als 5.000 Dorfbewohner medizinisch behandelt, viele von ihnen sahen nie zuvor einen Arzt oder eine Schwester. Es war ein Riesenerfolg und der Startpunkt für den Bau der ersten Polyklinik in Kumari.
Schon im „Kaffeeklatsch“ mit Jagat stellten wir fest, dass wir hier auf eine tolle und interessante Sache gestoßen waren. Jagats Geschichte fesselte uns, sie machte uns neugierig auf mehr… und Jagat gefiel ebenfalls unsere Geschichte. Also verabredeten wir uns für den nächsten Tag und Jagat lud uns zu sich nach Hause ein. Gespannt betraten wir die einfache, aber hübsche Wohnung im Westen Kathmandus und begrüßten Jagats Familie. Seine Frau überraschte uns mit einem köstlich schmeckenden Dal Bhat – dem nepalesischen Nationalgericht bestehend aus Reis, Linsensuppe, zwei Currygerichten und viel Gemüse. Gemeinsam bei leckerem Ginger Tee schauten wir Videos zum Kumari Projekt und Jagat erörterte uns sämtliche Hintergrundinformationen zu den Plänen und Zielen der HEN-Organisation. Wir beide waren beeindruckt und uns einig. Wir wollten so schnell als möglich selbst in die Kumari Region reisen, uns vor Ort ein eigenes Bild vom Projektstand machen und eine Spende aus unserem Spendentopf übergeben.
So besorgten wir in den nächsten Tagen nötiges Equipement für die „Shree Bikash Lower Secondary School“ in Kumari, planten unsere Reise in die Bergregion und machten alles „dingfest“. Nach 5 Tagen konnten wir endlich aufbrechen. Wir waren so aufgeregt, stellte allein schon der Weg nach Nowakot ein unbeschreibliches Erlebnis, aber auch eine große Hürde dar. Für die beschwerliche Reise dorthin benötigten wir einen Porter und einen Guide, die uns beide Jagat aus den eigenen Reihen zur Verfügung stellte. Schon am frühen Morgen unseres Spendentreks starteten wir zu viert und bepackt mit einer geographischen Weltkarte, 140 Büchern und Schreibgeräten, Fuß- und Volleybällen, Frisbeescheiben und kleineren Schulutensilien gen Osten. Motorisiert legten wir die ersten 35 Kilometer auf einer Ausfallstraße von Katmandu zurück. Das war noch der leichteste Teil der Wegstrecke und dauerte entgegen dem was uns noch erwarten würde nur zwei kurze Stunden. An einer kleinen abenteuerlich anmutenden Flußbrücke stoppten wir, um den Fußmarsch zu starten. Nach einer Stärkung ging es schon los… den Bergrücken aufwärts. Wir hatten uns den Weg zwar nicht einfach ausgemalt, aber was wir auf den folgenden Kilometern und Stunden läuferisch bezwungen, übertraf jegliche Vorstellungskraft unsererseits. Es ging auf der einen Seite auf, dann wieder ab. An steilen Berghängen krachselten wir teilweise schnaufend hinauf, an anderen rutschten wir wieder hinab. Immer wieder überholten uns Einheimische, die übergroße schwere Marktkörbe auf ihren Schultern und wenn überhaupt nur winzige Flip Flops an ihren Füßen trugen. Nun konnten wir wirklich verstehen, welche Lebenssituationen die Dorfbewohner der Everestregion zu meistern haben. Während ich beispielsweise als Kind gerade einmal fünf Minuten Schulweg zu bestreiten hatte, laufen in Nepal Kinder zum Teil drei Stunden und mehr den einfachen Weg. Ich glaube nicht, dass ich unter diesen Umständen gern zur Schule gegangen wäre.
Auf unserem Weg nach Kumari erklommen wir riesige Bergrücken und durchwateten Flüsse, insgesamt benötigen wir mehr als 8 Stunden Fussmarsch bis wir Nuwakot müde und erschöpft am frühen Abend erreichten. Unterwegs trafen wir immer wieder auf Dorfbewohner, die uns fröhlich zuwunken, uns eine Stärkung anboten oder sich einfach nur mit uns ablichten lassen wollten. Hatten sie doch bis dato noch nie Touristen – außer vielleicht im Rahmen des Medical Camps – gesehen. Unser Ziel direkt vor Augen schöpfte ich auf den letzten Metern zum Dorf nochmals Kraft, hatte ich doch mit ein paar Kindern um mich herum Verstärkung erhalten.
Vor den Toren des Dorfes ereilte uns die nächste Überraschung. Die Bewohner hatten ihr Dorf geschmückt und uns einen bunten Willkommensgruß bereitet, warteten sie auch schon den ganzen Tag ungeduldig auf unsere Ankunft. Nach ein paar gemeinsamen Schnappschüssen, Umarmungen und Blumengrüßen ging es in Begleitung weiter hinauf zur höchsten Erhebung im District. Hier hatten die Helfer und Unterstützer unweit der Dorfschule das Frauenzentrum errichtet und den Klinikbau begonnen. Im Sonnenuntergang konnten wir einen ersten Blick auf den Rohbau der Klinik, auf das Schulgebäude, das umliegende Bergmassiv und die unter uns liegende Urbanisierung erhaschen. Es wurde schnell stockdunkel um uns herum, denn Kumari besitzt noch immer keine Stromversorgung. In der Vergangenheit wurden zwar unter der Schirmherschaft von HEN Strommasten aufgestellt, aber noch fehlen Geld und Infrastruktur für die Transformatoren. So sitzen wir bei Kerzenschein im Kreise der Dorfbewohner und bekommen ein einfaches, aber leckeres Dal Bhat gereicht. Im fahlen Licht erkennen wir, wie sie uns eindringlich mustern. Unserer Bitte, für alle gereichten Lebensmittel und Getränke selbst zu bezahlen, kommen sie schüchtern aber dankend nach. Lebensmittel sind rar… das spüren wir bereits bei unserer Ankunft, als wir Kinder und junge Erwachsene um uns herum sehen, die reine Trockennudeln kauen. Noch am späten Abend führen wir viele Gespräche mit den Dorfbewohnern, unsere beiden Begleiter sind uns bei der Übersetzung behilflich und erzählen uns dabei viel über die Kumari Region und ihre Bewohner. Später am Abend betten wir unser Haupt im Schein einer ausrangierten Öllampe im Nebengebäude der Nähstube, wo die Frauen noch bis tief in die Nacht Schuluniformen und andere Kleidungsstücke fertigen.
Schon am nächsten Morgen ereilte uns die nächste Überraschung. Wir hatten uns mit unseren beiden Begleitern, die in einer einfachen Behausung Unterschlupf fanden, für 7.30 Uhr zum Frühstück bei einer lokalen Familie am Fuße des Schulberges verabredet. Und… wir sollten nicht allein bleiben. Obwohl an diesem Tag ein Feiertag und schulfrei war, strömten ca. 300 der insgesamt 400 Schulkinder zur Schule hinauf, um uns abermals einen fröhliches Willkommensfest zu bereiten. Hatten wir für sie ja viele neue Sachen im Gepäck. Die Kinder und jungen Erwachsenen bestaunten uns schüchtern, kicherten und waren unsicher… so wie wir. Was sind das für Menschen, die den anstrengenden Weg auf sich nehmen, um zu uns in die Berge zu gelangen und uns beschenken? Wir fühlten uns ein bisschen wie im Zoo und konnten wieder einmal nachempfinden, wie sich wohl oftmals Einheimische fühlen, wenn sie von Touristen bestaunt und fotografiert werden.
Der Festakt zu unseren Ehren war zwar erst für 8.30 Uhr geplant, trotzdem strömten seit dem Sonnenaufgang zahlreiche Schüler und alle Lehrer der kleinen Schule den schmalen Weg hinauf zum winzigen, von Berghängen umgebenen Schulhof. Sie alle trugen selbstgemachte Tihar-Blumenketten für uns bei sich, wie man auf den Fotos unschwer erkennen kann 😉
Als wir später den Schülern folgten und ebenfalls den steilen Hang hinauf kletterten, versanken wir erstml in Scham und ein wenig Unwohlsein. Alle waren auf dem Schulhof versammelt, hielten Willkommenschildchen gen Himmel und freuten sich sichtlich, uns zu sehen. Binnen weniger Minuten wurden mir von allen Seiten hunderte Blumenketten umgehangen und Umarmungen zu teil. Wir wußten beide nicht so recht, wie um uns geschah. Wir hatten doch nur ein paar Schulsachen dabei und waren mit dem Ziel gekommen, die Projektaktivitäten von Jagat, seinen Kollegen und HEN zu begutachten, um uns selbst ein Bild vor Ort zu machen. Von allen Seiten strömte Beifall als wir die kleinen Geschenke übergaben und Grüße von unseren Spendern überreichten. Es wurden Reden gehalten… auch der Bürgermeister war gekommen, um uns persönlich zu treffen und mit uns zu sprechen. Wir waren gerührt und fühlten uns dabei ein wenig peinlich berührt bei so viel Aufmerksamkeit. Doch das Eis war schnell gebrochen und wir zettelten erst einmal Spiele mit den Schülern an. Denn schließlich waren wir auch gekommen, um ihnen ein bisschen Freude zu bringen. Alle hatten sichtlich Spaß. Im Anschluß führte uns – erneut umgeben von unzähligen Schülern – ein ausgiebiger Rundgang durch die kargen Schulräume. Schnell waren wir wieder in der Realität angelangt und was wir sahen, gefiel uns nicht besonders. Die nepalesische Regierung investiert fast keinen Penny in die Bildungseinrichtungen der Bergregionen, das sieht selbst ein Blinder. Wir finden einfache Steingebäude mit kargen Wänden vor, es gibt keine Bilder, kaum Schultafeln oder sonstige Einrichtungsgegenstände. Größtenteils fehlen in allen Räumen Tische und Stühle. Die Schüler sitzen auf dem staubigen Boden, die Klassen sind mit bis zu 60 Schülern überfüllt, genügend Platz und Lehrer gibt es nicht. Wir sehen uns genauestens um, sprechen ausgiebig mit Lehrern, Dorfbewohnern und dem Bürgermeister. Wir sind erschüttert und traurig. Die Schüler zeigen uns was sie lernen, wo sie sitzen, wie sie spielen. Es gibt keine Toiletten, da die Infrastruktur für Strom und fließendes Wasser noch nicht bereitgestellt werden konnte. Ein einfacher Toilettentrakt wurde in diesem Sommer von HEN gebaut und bleibt bis zum nächsten Frühjahr verschlossen. Denn dann werden Ingenieure aus Übersee kommen und hoffentlich für Strom und Wasser sorgen. Die Kinder und Lehrer freuen sich darauf. Auch sind alle sehr stolz darauf nun bis zur 8. Schulklasse hier in Kumari zu lernen. Das war nicht immer so. Erst Jagat und die HEN-Organisation machten dies möglich. Permits wurden bei der zuständigen Regierung nach und nach beantragt, weder Mühen noch Kosten gescheut und neue Gebäude zu diesem Zwecke auf dem Gelände errichtet. Heute bleiben den Schülern damit drei und mehr Stunden Fußweg in die nächsthöhere Schule ab der 3. Klasse erspart. Und schon wurde eine neue Idee geboren: auch das 9. und 10. Schuljahr in Kumari anzubieten…
Wir haben noch so viele Fragen und unser Rundgang nimmt mehr Zeit in Anspruch als gedacht. Wir wollen alles genau wissen und bleiben noch ein wenig mit den Einheimichen zusammen. Dann wird es Zeit, wieder den holprigen Weg nach unten zu klettern, um auch noch den Klinikbau in Augenschein zu nehmen. Aktuell stehen die Arbeiten still, denn der Monsunregen hat die neue Staubstraße verwüstet – was übrigens bei jedem Monsun passiert, wie wir später erfahren. Wie jedes Jahr muss die Straße erst wieder passierbar gemacht werden. Und erst wenn die freiwilligen Helfer von HEN nach Kumari zurückkehren, werden die Klinikarbeiten fortgesetzt. Das Klinikgebäude macht einen passablen Eindruck. Die HEN-Initiatoren haben sich offenbar viele Gedanken gemacht und klare Ziele formuliert. Nur die Umgebung macht uns ein wenig Sorgen. Der Berg, der zum Zwecke des Klinikbaus abgetragen wurde, verliert an Masse. Der letzte Monsunregen hat Teile des Berges nach unten gespült. Die Hänge müssen zunächst neu befestigt werden. Zusätzliche Arbeiten und Kosten, die so nicht geplant waren. Trotzdem; dieser Platz lässt uns positiv in die Zukunft blicken. Wir können uns gut vorstellen, wie es hier bald sein wird, wenn medizinische Versorgung für ca. 60.000 Menschen zur Verfügung steht. Doch noch fehlen viele notwendige Ausstattungsmaterialien – aktuell werden zahlreiche Gespräche geführt, die Initiatoren benötigen weitere Unterstützung und Spenden. Ein zweites medizinisches Camp für das kommende Jahr ist in Vorbereitung, wenn möglich soll zu diesem Zeitpunkt die Klinik eingeweiht werden und in den laufenden Betrieb übergehen. Wir treffen auf dem Areal einen der angehenden Ärzte, der heute ebenfalls in Kumari seine Familie besucht. Er hat die von HEN realisierte Ausbildung bereits erfolgreich abgeschlossen und absolviert aktuell ein Praktikum in Kathmandu. Insgesamt wurden drei junge Menschen aus Kumari dank HEN medizinisch ausgebildet, weitere drei Frauen absolvieren derzeit eine Schwesternausbildung in der Hauptstadt. Sie alle haben sich verpflichtet nach Kumari zurückzukehren und hier zunächst für mindestens 5 Jahre zu arbeiten. Ein gutes Konzept, wie wir befinden.
Wir bleiben noch eine Weile vor Ort, sprechen mit den Einheimischen über „ihre neue Klinik“ und freuen uns über die langfristigen Ziele und Überlegungen zum Projekt. Nach eingehender Überlegung und dem Bild was wir vor Ort gewonnen haben, entschlossen wir uns 35.000 Rupien (ca. 318 EUR) für die Ausstattung des dringend benötigten Damenbadraumes inkl. Toilette in der Polyklinik zu spenden. Auch wenn wir damit diesmal in Vorleistung gehen und HEN einen Geldbetrag überlassen, wir haben ein gutes Gefühl. Zum ersten Mal treffen wir auf ein Entwicklungsprojekt, was so präzise und gut organisert von einem Einheimischen wie Jagat geplant, umgesetzt und fortgeführt wird. Jagat wird uns auch zukünftig über die Arbeiten und Projektaktivitäten auf dem Laufenden halten. Und wer weiß, vielleicht kommt ja auch in der Zukunft bei uns der ein oder andere Euro für Kumari zusammen.
Der Tag ist viel zu schnell vorangeschritten. Zeit für uns, den Bergrücken hinabzusteigen und noch ein paar weitere Dorfbewohner zu besuchen. Überall wurde uns zugerufen und gewunken. Fast jeder in Kumari hatte das Bedürfnis, uns in seinem Haus zu empfangen. Nach einem kräftigenden Mahl im Familienhaus unseres Porters und letzten rührenden Gesprächen mit den Dorfbewohnern verabschiedetn wir uns traurig von Kumari. Die Zeit war viel zu kurz. Aber dennoch: wir mussten schlussendlich aufbrechen, um den anstrengenden Rückweg noch vor der Dunkelheit anzutreten. Da ich mir bereits in Kathmandu auch noch eine Diarrhoe eingefangen hatte und alle paar Meter auf dem Rückweg im Busch verschwinden musste, benötigten wir zugegebenermaßen durch mich verschuldet noch mehr kostbare Zeit. Irgendwie schafften wir die Berge aber trotzdem schneller als bei unserer Ankunft, vielleicht waren wir zwischenzeitlich trainiert? Als wir endlich die Hauptstraße nach Kathmandu erreichten und dort auch gleich einen öffentlichen Bus fanden, der uns zurück in die Stadt brachte, waren wir glücklich und zufrieden. Kathmandu erreicht, fielen wir nach einer wohltuenden Dusche nur noch erschöpft in unsere Betten. Wir waren müde, aber unbeschreiblich happy. Wurde uns doch wieder einmal bewußt, wie viel Glück wir hatten auf der anderen Seite des Lebens aufgewachsen zu sein und heute derartige Abenteuer erleben und auf unsere kleine Art und Weise helfen zu können. Die Ereignisse aus Kumari, die wir in den vergangenen Tagen in uns verewigten, werden wir nie mehr vergessen.
In Kathmandu benötigten wir erst einmal Ruhe, um wieder zu Kräften zu kommen und unsere Erlebnisse aus Kumari zu verarbeiten. Wir trafen uns noch ein paar Mal mit Jagat, Ferdi und zu aller Überraschung auch mit Nadine und Yecine, die zwischenzeitlich von ihrem Trek zurückgekehrt waren. Wir alle hatten uns natürlich viel zu erzählen. Unseren ursprünglichen Plan, eine ausgiebige Trekkingtour in die Anapurna-Region zu unternehmen, legten wir recht schnell „ad acta“ und ließen es bei individuellen Erkundungstouren in und um Kathmandu ruhiger angehen. Denn wir waren uns wie immer einig, der Trip nach Kumari war bereits unser Highlight in Nepal und konnte auch von einem weiteren Bergmassiv nicht mehr getoppt werden. Lediglich zu einem Rafting-Wochenende konnten wir uns noch aufraffen. Wir hatten dort zwar viel fun beim Raften und einen lustigen Abend mit Marc und Glenn aus Belgien sowie Stefano aus Italien, wurden aber wieder einmal von der Tour an sich enttäuscht. Für uns schlussendlich eindeutig: möglichst keine touristischen Ausflüge mehr! Die letzten Tage in Nepal krönten wir mit dem Aufenthalt in Pokhara, wo wir wieder auf Ferdi trafen und unterhaltsame Tage und Abende verbrachten, bevor es für uns anschließend weiter nach Indien ging.
… und dass unser Spendentrek in die Kumari Region für uns zwei nicht ohne Folgen blieb, könnt ihr im nächsten Bericht über Indien lesen.
Bis dahin viele Grüße, eine schöne Vorweihnachtszeit und viel Spaß auf den traditionellen Weihnachtsmärkten daheim
Eure zwei Weltenbummler Thomas und Angie
Ach ihr 2, wie toll der Artikel geschrieben wurde.
Jetzt hab ich noch mehr Lust auf Nepal.
Ich merke sofort, dass euch soviel an dem Projekt liegt. Und ich weiß, wie kritisch ihr alles betrachtet und wie viel Erfahrung ihr habt. Wenn ihr so von jemandem bzw von einer Organisation schwärmt, dann muss da was dahinter sein! Ich hoffe echt, dass ich auch ein Teil davon werden kann. Mal schaun, was da rauskommt.
Vermiss euch ganz fest!
PS: hab übrigens auch schon den neuesten Post gelesen. Bin hier immer up to date 😉
lots of love from Graz!
Viki