Location: Cape Town
Zeitunterschied: + 1 Std.
Wetter: sommerlich warm
Die Suche führte zu keinem dauerhaften Erfolg. Es fing nach einiger Zeit wieder an zu drücken. Entweder bohrte sich die Lehne unangenehm in den Rücken oder das gesamte Gewicht musste auf einer der beiden fleischigen Hälften so ausbalanciert werden, dass sich auf Dauer Schmerzen einstellten. Da nutzte auch das mittig platzierte Kissen nichts. Das Sitzen zwischen den Stühlen ist in puncto Bequemlichkeit sicherlich keine Lösung von Dauer, aber dennoch notwendige Zwischenstation auf der Suche nach einem passenden Platz.
Während Angie wahrscheinlich schon die ersten Cocktails am Hartbeespoort mit ihren Mädels beim Junggesellenabschied schlürfte, quälte sich mein untermotorisiertes Gefährt schreiend die Anhöhe am Fuße des Devils Peak empor. Nach der Gabelung von M3 und M5 sind es nur noch wenige Meter bis die Schnellstraße den Punkt erreicht, an dem die Verkehrsplaner den Bau eines Parkplatzes vergaßen. Mein Blick fängt für Sekunden den grandiosen Blick über die Stadt und ihre vorgelagerte Bucht ein, bevor die Straße bergab in die Stadtteile am Fuße des Tafelberges eintaucht.
Ungeachtet dessen das ich „Ford“ fuhr, überwog die Freude in mir, wieder anzukommen. Auf der Suche nach augenscheinlichen Veränderungen tastete ich mich in Richtung Innenstadt vor und stellte mir gleichzeitig die Frage des „Warum“. Warum suche ich Veränderungen, obwohl ich mich eigentlich auf das freue, was meine Vergangenheit hier versüßte. Menschliche Schwäche, um Entscheidungen relativieren zu können, oder nur Vorfreude auf Neues? Der erste oberflächliche Blick suggeriert mir Alltag. Jede Menge Touristen zwischen Suchen und Staunen, dazwischen der hip gestylte Trendsetter, gefolgt von „Madam“, oder so ähnlich, eher übermotorisiert. Ob Kloof, Bree oder Long Street, die Ausgehvielfalt präsentiert sich trendy wie eh und je. Der typische „Captonian Vibe“ zelebriert sich in seiner täglichen Chronologie unter blauem Himmel und gleißender Sonne. Und nicht zu vergessen der Wind. Zwar himmlisch, aber doch eher erwachsen als kindlich, säuselt beständig in meinen Ohren und verlangt von Zeit zu Zeit nach einer eleganten Handbewegung, die den etwas zu langen Pony, wieder richtig legt.
Der Tafelberg. Der schroffe Fels steht leicht eingehüllt in einem Kleid aus zarten Wolkenschleiern und hält für mich die gleiche sinnoffene Deutung bereit, wie eines der frühromantischen Bilder Casper David Friedrichs. Auch hier liegt es im Auge des Betrachters, wie Räume Vorstellungen dehnen und entstehende Perspektiven neue Wege der Interpretation eröffnen. Ich fühle die Ambivalenz, die der friedliche Koloss ausstrahlt. Ein Sinnbild für die ihn umgebene Gesellschaft zu seinen Füßen? Auf der einen Seite ein beeindruckendes naturgeschaffenes Monument, auf der Anderen, die starre Mauer der Abschottung, dezent gehüllt im grau-grünen Gewand. Sein Anblick zieht mich in seinen Bann und verzaubert mich mit seiner schroffen aber ästhetischen Schönheit. Dennoch fühle ich die Distanz die von ihm ausgeht. Ich versuche nach ihm zu greifen, strecke mich nach Leibeskräften, nur die eine Berührung… Ich müsste mich fallen lassen.
In unserer heutigen hippen Medienwelt der ständigen Extreme wird mit vermeintlicher „Ecke und Kante“ der Mainstream befeuert, um nach kurzer Stichflamme im Ofen festzustellen, dass sich nicht lohnt den produzierten Topf Einheitsbrei auf Temperatur zu halten. Gerade in diesem gesellschaftlichen Umfeld ist es um so schöner, wenn man mal etwas findet bei dem die Frage – „Ist das noch Punk-Rock“ – mit ja beantwortet werden kann, selbst wenn man eigentlich mehr Popperlocke trägt. Wir lieben gelebte Authentizität, egal welche. Hallo Hanni, Hallo Janni… wie geht’s? Die etwas überdimensionierte Ansteckgiraffe auf Hanni`s turkisem Jacket fängt heute die Blicke aller wandernder Augenpaare ein, die nach ihrer roten Mähne unweigerlich am überdimensionierten Hals des gestreiften Paarhufers hängen bleiben. Wie immer tratschen wir uns in gewohnter „Sex in the City – Manier“ durch die Ereignisse der letzten zwei Jahre an der Cape Towner Lifestyle-Front. Ungeschönt mahnen uns die Geschichten daran, was schon Generationen zuvor feststellten… nach „Sex, Drug‘s und Rock`n Roll kommt ganz bestimmt der nächste Tag mit so alltäglichen Dingen wie “Abeitn gehn“. Wir lieben euch dafür, daher bleibt wie und wo ihr seid.
Wenn ein völlig ausgetrockneter Schwamm nach einer längeren Durststrecke auf Wasser trifft, klatschen Gravitation und Kapillarität vor Freude die Hände, können sie sich doch wiedermal ein Kräftemessen liefern. Oberflächen- und Grenzflächenspannung sorgen dann dafür, dass das kostbare Nass in die kleinen Kapillaren des Schwammes gezogen wird und diesem wieder Farbe und Leben einhauchen. Ähnlicher Prozess, andere Baustelle, wir Menschen, die nach Monaten in der intellektuellen „Wüste“ mal wieder etwas schwerere Kost verzehren möchten.
Lutz hatte zum philosophischen Eisbaden geladen. Der „wohltemperierte“ Hinterhofpool seines Hauses lag am Nachmittag perfekt im Schlagschatten der nach Westen wandernder Sonne und ließ keine Sorgen bezüglich einer überhitzten Diskussion aufkommen. Alles schien unter dem Motto „Gepflegte Unterhaltung mit umgekehrten Vorzeichen“ zu laufen. Kühle Gliedmaßen – heißer Kopf. Zumindest hatten wir an ein wenig innere Wärme gedacht und stiegen mit samt Weinglas ins kühle Nass des Jungbrunnen. Den Inhalt unseres thematischen Hangelns zwischen „Gott“ und der „Welt“ kann ich mir sparen, da alles hier gesagte mit einem abschließenden kurzen Satz zu beschrieben werden kann. Freundschaft ist wie Liebe mit Verstand.
Unsere Vorfreude auf Kapstadt hatte sich über Wochen und Monate aufgestaut. Wieder und wieder hatten wir uns vor der Reise über Freunde, Erlebnisse und Örtlichkeiten in unserer „Stadt der Städte“ ausgetauscht und die mehr als zwei Jahre Leben dort, gefühlt noch einmal nach gelebt. Angie, mehr als ich, vermisste das unbeschwerte Gefühl von Freundschaft in ihrer Mädels Clique, gepaart mit dem „easy-peasy“ „wir gehen heute mal aus“ Leben. Mir war mehr ohne weniger der Freund für tiefere Gespräche weggebrochen. Auf den berühmten Punkt gebracht lässt sich für uns die Zeit in Kapstadt als prägend charakterisieren, insbesondere im Hinblick auf unser „Social-Life“.
Bei soviel Lob stellt sich aber zwangsläufig auch die Frage nach der anderen Seite der Medaille, hatten wir doch der Stadt vor zwei Jahren auch den Rücken gekehrt. Im Grunde genommen dreht sich alles um das Thema Sicherheit und lässt sich mit den Adjektiven „wirtschaftliche und körperliche“ genauer klassifizieren. Wie immer im Leben bekommt man nie alles unter einen Hut und muss für sich den Ort finden, an dem man den kleinsten Kompromiss eingehen muss. Nach unserer Zeit in Südafrika leben wir nun also in Australien und machen uns Gedanken über unser noch eingeschränktes „Social life“, arbeiten uns dafür nebenbei den Arsch Stück für Stück ins Trockene und schwelgen in Gedanken das „Für und Wider“ der Entscheidung ab. Es sei aber angemerkt, dass nach nun gut 20 Monaten in Australien die Bedenken immer mehr weichen und wir uns angekommen fühlen. Gut Ding braucht halt manchmal ein bisschen.
Kapstadt – Ganz nüchtern betrachtet war es nur eine Rückkehr an einen Platz von „sowohl als auch“… von „Liebe und Abneigung“ … an einen Platz innerer Zerrissenheit. Ganz nüchtern betrachtet?